Seite wählen

Hallo ihr Lieben,
für die aktuelle Ausgabe (Jan/Feb 2017) vom Hestur habe ich einen Artikel zm Thema „Reiten und Körperarbeit“ geschrieben. Es geht darum, wie wir alle den Altag mit auf’s Pferd nehmen.
Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen:

 

Reiten und Körperarbeit- wie unser Alltag den Körper formt.

Von Ellen Keßler
Früh am Morgen fahre ich zum Stall. An diesem Samstag liegt weißer Nebel auf den Wiesen. Laub raschelt über die Straße.
Später sitze ich im Sattel. Gletting läuft flott voran, sie liebt unsere Samstagsausritte. Es soll eine entspannte Runde werden.
Im Stall hing ein Flyer, denke ich. „Reiten und Körperarbeit“, habe ich darauf gelesen und frage mich, wann ich eigentlich das letzte mal bewusst auf meinen Körper geachtet habe, mal abgesehen davon wenn ich irgendwo Schmerzen hatte, was öfter vorkommt.
Vielleicht fange ich jetzt einfach mal damit an. Aber womit soll ich beginnen. Ich fühle mich angespannt. Die Woche hängt mir noch in den Knochen. Wie jeden Freitag, war es auch Gestern wieder besonders anstrengend, all die wichtigen Aufgaben abzuarbeiten, die laut Chef nicht bis Montag warten konnten. Ich spüre, wie sich mein rechter Arm anspannt, die Schulter ist fest und hochgezogen. Genau wie im Büro am Schreibtisch. Gletting schlägt mit dem Kopf. Eine Beschwerde über die starre Zügelverbindung. Ich beiße die Zähne zusammen. Dieser blöde Chef, immer zum Ende der Woche knallt er mir noch mal richtig Arbeit auf den Tisch. Mein Kiefer wird fest. Bis in den Nacken spüre ich die Anspannung. Gletting fängt an zu eilen.
„Ruhig“, rede ich auf Sie ein und streiche ihr über das weiche Fell. „Du kannst nichts dafür.“ Warum fühlt sich mein Körper so an, als würde mein Chef persönlich mit im Sattel sitzen?
„Reiten und Körperarbeit“, fällt es mir wieder ein. Was stand da: „… dass unser Körper im Alltag oft nicht die Chance hat Spannungen abzubauen. Spannungen entstehen durch einseitige Belastung, seelische Anspannung und nicht ausgelebte Emotionen.“
Was soll das bedeuten? Steckt die Computermaus noch in meinem rechten Arm? Ziehe ich den Kopf noch ein und die Schultern hoch, weil mein Körper noch das Gefühl gespeichert hat, als die Kollegin gestern geschimpft hat, ich hätte die Kaffeemaschine nicht sauber gemacht?
Ich falle in mich zusammen, Gletting stolpert. Aufrecht sitzen, ermahne ich mich. Mein Mann hat letztens Fotos vom Reiten gemacht, und dieses eine unvorteilhafte Bild von der Seite schiebt sich vor mein inneres Auge. Schultern und Kopf viel zu weit vorne. „Wie ein Geier“, meinte mein Mann im Scherz. Aber er hatte Recht. Doch irgendwie bekomme ich meinen Kopf nicht mehr zurück zwischen die Schultern. Und das geht nicht nur mir so, auch meine Stallfreundin sitzt so auf dem Pferd.
Mit dem Kopf voraus, denke ich und frage mich, ob das an unserer schnelllebigen Zeit liegt. Wir eilen mit schnellen Schritten durch den Alltag, in Gedanken immer schon, bei der übernächsten Aufgabe. Ist es verwunderlich, wenn der Kopf dem Geist folgt? Als würden die Gedanken ihn nach vorne ziehen.
Ich setze mich aufrecht hin, Schultern zurück und bemühe mich, bewusst in den Brustkorb zu atmen. Warum fühlt sich meine Brust so eng an? Hier sitzt doch die Lunge, und die Rippen sind doch elastisch mit dem Brustbein verbunden. Sollte ich nicht weich und geschmeidig in die Rippenbögen atmen können? Es fällt mir schwer. Nichts bewegt sich, keine Leichtigkeit, mein Atem findet keinen Raum. Ich schicke ihn wieder in den Bauch.
Wann hat das angefangen, diese Enge in der Brust? Ich kann mich nicht erinnern.
„Reiten und Körperarbeit“, denke ich wieder. Was stand da? „…stark emotionales Erlebnis, das Herz schützen, Schultern vor, Brustkorb fest.“ Ja, denke ich, frei und offen durch den Alltag gehen. Mit offenem Herzen, ohne Angst vor Verletzung, das wäre schön.
Auch meine Reitlehrerin sagt immer, ich solle groß und stolz auf dem Pferd sitzen. Mein Geist versteht das, und folgt willig, aber mein Körper fällt immer wieder zusammen. Als wenn er sich sicherer fühlt klein und unauffällig, die Schultern nach vorne gezogen.
Ich nehme die Zügel in eine Hand und streiche mir mit der anderen liebevoll über die Schulter, Gletting schnaubt. Mein ganzes Leben, steckt in diesen Schultern, jeder Moment ist in meinem Körper gespeichert. Und wie oft, habe ich meine Bedürfnisse ignoriert, weil es im Alltag nicht anders ging, weil ich dachte, dass es nicht anders geht, weil ich es nicht anders konnte, noch nicht.
„Reiten und Körperarbeit“, denke ich: „…nehmen Sie Ihren Körper wahr, in aller Liebe und Herzlichkeit, atmen sie ein und atmen sie aus, egal wohin, atmen sie. Atmen sie im Takt ihres Pferdes. Vier Schritte ein, vier Schritte aus, oder drei, oder fünf? Fühlen sie ihr Becken, wie es sich im Schritt vor und zurück bewegt, nach rechts und nach links. Fühlen sie, wie der Bauch Ihres Pferdes von einer Seite zur anderen schwingt und ob es eine Rhythmus gibt, in dem die Knie nach unten fallen. Betonen sie diese Bewegung, genießen sie sie.
Spüren Sie im Leichttraben wie ihre Schultern nach oben hüpfen, wie sich bei jedem Aufstehen die Schulterblätter im Rücken zusammen ziehen. Bekommt die Brust mehr Raum? Was macht der Atem?
Was fühlen sie noch? Können die Fußgelenk im Tölt schlackern? Mit längeren Steigbügeln? Ohne Steigbügel?Und der Galopp? Wie fühlt sich der Galopp an? Rund, oder flach? Kann der Atem sich an die Sprünge anpassen? Drei ein, drei aus? Können die Knie loslassen?
Lassen sie sich vom Pferd bewegen. Fühlen sie, wie sie locker werden. Fühlen sie auch die Stellen, die nicht perfekt sind, die noch nicht funktionieren. Ihr Körper wird seine Gründe haben.
Und im Alltag, suchen sie ihre Muster. Wann macht ihr Körper was? Laufen sie langsam, nehmen Sie den Kopf zurück, bleiben sie im Moment und lassen Sie die Schultern fallen.
Und nach Feierabend helfen verschiedene Formen von Körperarbeit für mehr Leichtigkeit im Sattel, welche die seelischen und emotionalen Hintergründe und Blockaden mehr oder weniger mit einbeziehen.
Hier einige Möglichkeiten:
Feldenkrais: Fühlen lernen, neue Bewegungsmuster entwickeln, was auch dem Geist helfen kann, neue Verhaltensweisen zu erkennen
Progressive Muskelentspannung: Anspannen, Entspannen, Loslassen, zur Stressbewältigung
Yoga und Pilates: Körpergefühl und Kräftigung
Körperarbeit nach der Grinberg-Methode: Atmen, Fühlen, ein Praktiker/Therapeut arbeitet mit ihnen und an ihrem Körper, seelische und emotionale Hintergründe und Blockaden werden gelöst, gut bei chronischen Schmerzen
Es gibt noch viele weitere Formen der Körperarbeit, finden Sie etwas, das zu Ihnen passt.
Körperarbeit kann auch zu Hause auf der Yogamatte statt finden, Atmen, Fühlen, Anspannen, Entspannen.
In diesem Sinne, genießen Sie die Zeit im Sattel und sitzen sie aufrecht.